Sonntag, 13. Juni 2010

Versöhnt!

Eine gewisse Zeit war notwendig, bis ich den Nachtmarathon von Biel verdaut habe. Doch der Reihe nach:
Die Reise nach Biel habe ich nach einem verkürzten Arbeitstag in Angriff genommen und im Startgelände sofort nach Ankunft eine Startnummer besorgt. Dann habe ich mir noch ein Plätzchen für mein kleines Zelt zwischen den vielen bereits stehenden Zelten auf dem Fussballplatz gesucht.
Kurz vor 18h genehmigte ich mir eine Portion Spaghetti mit Bolo-Sauce.
Dann versuche ich mich zu entspannen und ein Nickerchen zu machen. Doch die innere Ruhe dazu fehlt mir. Zwischendurch regnet es kurz und der Wind frischt deutlich auf.
Gegen 21h gebe ich Wertsachen und einen Beutel mit Jacke und trockenen T-Shirt für den Transport ans Ziel in Oberramsern ab. Noch immer bin ich unsicher, was ich zum Lauf anziehen soll. Im letzten Moment entscheide ich mich, meine leichte Weste auch an zu ziehen.
Um 22h bin ich am Start, um die ca. 2000 100km-Läufer/innen zu bewundern. Im hinteren Teil des Startblocks beeindruckt mich das relativ hohe Durchschnittsalter und -gewicht. Ich bestaune deren Mut.
Um 22h30 ist es endlich soweit. Der Marathon und Halbmarathon mit ca. 700 Teilnehmern wird gestartet. Ich nehme es gemütlich und versuche mit 5:45/km zu laufen. In der Stadt herrscht Feststimmung. Besonders die Kinderaugen leuchten vor Begeisterung und freuen sich, so spät in der Nacht noch auf der Strasse sein zu dürfen.
Rasch habe ich viel zu warm und wickle meine Weste um die Hüfte.
An den Verpflegungsposten trinke ich ausgiebig Wasser. Nach knapp 10 km kommt man das erste Mail richtig in die Nacht. In der Steigung nehme ich mein Tempo deutlich zurück, dennoch kämpfe ich das erste Mal mit Übelkeit. Die Bolosauce stösst sehr unangenehm auf und mein Darm zwickt störend und leichtes Seitenstechen wird mich viele km begleiten. Ich versuche mich abzulenken und konzentriere mich auf das Grillengezirp, beobachte Mitläufer und versuche meinen Rhythmus zu finden. Es geht im Dunkeln durch die Felder - zu meiner Überraschung zumeist auf Hartbelag. Noch immer ist der Wind relativ stürmisch, zwischendurch fallen einzelne Tropfen, doch regnen will es nicht und die Temperatur ist für mich zu hoch.
Bei km 15 muss ich mir eingestehen, dass ich die 4h als Ziel nicht aufrecht halten kann. Neben meinem Magen und Darm machen sich auch die Oberschenkel bereits deutlich bemerkbar. Irgendwie fehlt mir die Körperspannung. Ich fühle mich wie ein Sack mit Beinen. So lässt sich einfach nicht vernünftig laufen.
Um mich herum nimmt das Gros der Läufer/innen am Halbmarathon teil. Doch überhole ich nun auch zunehmend gehende 100 km Teilnehmer. Zum Teil sind dies ganze Gruppen, welche vermutlich noch sehr lange plaudernd unterwegs sein werden.
Kurz vor Aarberg überlege ich mir ganz kurz, ob ich wirklich nochmals 21 km laufen soll oder nicht einfach in Aarberg das Rennen beenden soll. Doch die grossartige Stimmung in Aarberg gibt mir einen Schubs. Ich nehme den grossen Platz und die Häuserkulisse ganz kurz war und schon bin ich durch das Dorf hindurch und gehe nach 2h10 auf der 2. Streckenhälfte.
An den Verpflegungsposten nehme ich nur Wasser und zwischen durch ein kleines Stück Banane zu mir. Mein Körper wehrt sich gegen diese Tortour. Ich kann zwar laufen, doch sobald mein Puls etwas länger in den Bereich von 85 % steigt, wird mit übel. So krieche ich mit einer Pace von 6:45/km vorwärts. Dieses ungewohnt langsame Lauftempo macht mir natürlich zusätzlich zu schaffen. Insbesondere die Oberschenkel und die Leiste schmerzen.
Im Anstieg vor km 30 mache ich eine Gehpause. Eigentlich gehen die Meisten um mich herum. Sogar die einzelnen Staffetenläufer scheinen mir nicht wesentlich schneller unterwegs zu sein. Die Nacht hat nun alle fest im Griff. Ich muss die Stirnlampe einschalten, sonst wird die Versuchung zu gross, einfach mit geschlossenen Augen weiter zu gegen. Ich muss auch immer Bilder von meiner Matratze zu Hause abwehren.
Es beginnt zu regnen und endlich wird es kühler. Nun bin ich froh um meine Weste. Irgendwann erreiche ich km35 mit der Verpflegung. Neben Wasser trinke ich vorsichtig ein Cola. Nun geht es meinen Magen wieder besser. Ich habe mir längst einen schlurfenden Joggingschritt angewöhnt. Dies erscheint mir die effizienteste Art vorwärts zu kommen zu sein. Mein Puls liegt knapp über 70 %, doch die Kraft, diesen zu steigern fehlt mir definitiv.
Mein Körper will schlafen.
Noch immer stehen und sitzen Zuschauer vor den Häusern und feuern die Vorbeiziehenden an. So mache ich km um km. Immer wieder muss ich die Frage, weshalb ich mir dies überhaupt antue, abwehren. Nun gilt es einfach nach Oberramsern zu kommen, wo mich ein Bus nach Biel zu meinem Zelt mit Isomatte bringen wird.
Die km vergehen langsam aber stetig. Ich bin nun wieder leicht schnelle als die Meisten unterwegs und überhole immer wieder Marathonläufer. Trotzdem ist die Strecke nach Oberramsern fast endlos lang. Ich muss noch 2 mal eine kurze Gehpause einlegen. Doch die Zeit spielt schon lange keine Rolle mehr. Nur noch ankommen, ist die Devise. Die Freude am Laufen ist mir endgültig vergangen. Ich frage mich, ob ich überhaupt je einmal wieder einen Marathon laufen soll.
Endlich erreiche ich das Ziel. 4h43!!
Mein bisher schlimmster, längster, bl..., verfl.. Marathon ist zu Ende!
Gegen 4h morgens bin ich Biel. Bevor ich einschlafe, konsultiere ich noch die Rangliste. In meiner Altersklasse komme ich auf den 4. Rang! Dies versöhnt mich das erste Mal etwas mit diesem Lauf.
Gegen 7h stehe ich wieder auf, breche mein Zelt ab und beklatsche am Ziel die eintreffenden 100 km Cracks.
Ich merke zwar die Beine, habe aber sicher keinen Schaden von diesem Lauf genommen - Versöhnung Nummer 2!

Am Sonntag ist das Leiden nicht mehr präsent. Nun ist es vermutlich die Nacht dieses Jahres! Toll in Biel ist auch die Organisation mit sehr vielen freundlichen Helfern. Die Landstrassen sind abgesperrt und verkehrsfrei. Die Bilder der vielen anfeuernden Zuschauer und die Gewissheit, als Teilnehmer der Anlass für so viele tolle Dorffester, Volksfester und privaten Feiern  gewesen zu sein, versöhnt mich definitiv mit diesem Anlass.
Woran es lag, dass ich so leiden musste, kann ich nicht sagen. Vielleicht hätte ich mehr longjogs machen sollen. Sicher aber ist dies für mich die falsche Tageszeit für einen Marathon. Das nächste Mal werde ich wieder am Morgen starten. Wie heisst es doch so schön: Nach dem Marathon ist vor dem Marathon!

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